April – Worst-Case

Dass das Leben nicht einfach ist, wissen wir sehr gut. Dass es aus heiterem Himmel zuschlägt, kennen wir auch. Und doch macht sich blankes Entsetzen breit, wenn man vom plötzlichen Tod eines guten Freundes erfährt. Am 5. April ist unser Mehmet aus Gökova mit seinem Motorrad verunglückt. Monate zuvor wurde Krebs diagnostiziert, den er mit liebevoller Unterstützung von seiner Frau Billi erst mal besiegt hatte. Nun erfüllte er sich seinen Traum, kaufte ein Motorrad und war überglücklich. Doch seine letzte Fahrt endete tödlich.


so werden wir Dich in Erinnerung behalten und hoffen auf ein Wiedersehen – irgendwann, irgendwo in diesem unendlichen Universum

Doch das Leben muss weitergehen. Wetterkapriolen lassen uns spüren, dass nichts mehr richtig in Ordnung ist. Wir hatten im April Temperaturen mit über 30 Grad, dann kam der Wüstenstaub aus der Sahara dazu. Alles spielt verrückt und das immer schneller.

Luft holen und durchatmen wird gerade immer schwieriger. Auch die Haussuche raubt sämtliche Kraft, eigentlich ist unser Häuschen doch richtig schön.


Othmar hat einen neuen Bonsai kreiert – das ist Entspannung


dazwischen ein Besuch im Garten

Allerdings gibt es durch den fehlenden Winter Mücken ohne Ende. Othmar erwischte es so schlimm, dass wir in die Klinik mussten. Da wollte ich nicht nachstehen, war nach der Attacke allerdings entsetzt. An die hundert Stiche über den ganzen Oberkörper verteilt, ich dachte es wäre die zweite Gürtelrose. Nein – nur Mücken, das hat mir die Ärztin in der Klinik bestätigt.


zur Belohnung gab es dann nach der Diagnose den besten Döner der Welt

Ein Marmaristag mit meiner Bine. Jeder erledigt seine Sachen, dann treffen wir uns wieder. Diesmal war es allerdings ein Spießrutenlauf. Mittags wurden sämtliche Straßen wegen des Radrennens gesperrt, das hatten wir leider übersehen.


so Autofrei sieht man die Stadt sonst nicht


und das sind die Verursacher

Othmar muss sein Ikamet (Aufenthaltserlaubnis) nach zwei Jahren wieder verlängern. Ich habe immer Bauchweh, er sieht es gelassen. Vor einigen Tagen habe ich gelesen, dass die Vergabe durch neue Richtlinien sehr erschwert wird. Somit war ich vorgewarnt. Gestern am 29.04. sind wir nach Muğla zur Behörde und haben den Antrag eingereicht. Ich sitze hier beim Schreiben und mir ist immer noch schlecht. Seit 15.04.2024 gibt es eine neue Annahme-Richtlinie (noch ist es kein Gesetz) und das erwischt uns nun voll. Ab diesem Zeitpunkt gibt es für alle hier lebenden Ausländer mit „Touristenvisum“ nur noch eine 6-monatige Aufenthaltserlaubnis (mit Immobilienbesitz 2 Jahre). Natürlich nur mit notariell beglaubigtem Mietvertrag vom Vermieter. Zusätzlich wird ein Einkommensnachweis von monatlich TL 26.000,- (€ 765,-) verlangt.

Es wird kein Unterschied zwischen langjährig hier lebenden Ausländern und den vielen Flüchtlingen aus den arabischen Ländern gemacht. Die Massen neu „zugewanderter“ Russen und Ukrainer tun ihr übriges dazu. Die Türkei muss also zwangsläufig Maßnahmen ergreifen und wir sind die Kollateralschäden. Ich weiß nun, wie sich Flüchtlinge fühlen, die in einem fremden Land nicht mehr willkommen sind.

Doch noch geben wir nicht auf. Wir hoffen auf einen weiteren Mietvertrag in unserem jetzigen Häuschen (habe ich mich vor kurzem noch nach einem Dach und Isolation gesehnt???). Wenn das klappt, müssen wir wieder zum Amt und dann heißt es, das Universum um Hilfe bitten. Dann hätten wir erst mal 6 Monate Zeit um Luft zu holen und uns mit diesem Worst-Case Szenario auseinanderzusetzen. Im Moment geht es nicht mehr darum was wir wollen oder uns wünschen, wir müssen uns den staatlichen Anforderungen fügen. Weg wollen wir nach über 18 Jahren natürlich nicht, wir sind hier nach dieser langen Zeit richtig angekommen unnd fühlen uns zuhause. Doch ganz leise schleicht sich auch die Frage nach einer gezwungenen Rückkehr nach Deutschland ein. Die Angst sitzt mir wirklich im Nacken, wir wollten  hier nur in Ruhe alt werden. Es tut einfach verdammt weh!

 

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