Die Gedanken drehen sich wie im Karussell. In den Nächten verarbeite ich meine Sorgen in kraftraubenden Träumen. Tief im Inneren wird immer klarer, hier werden wir keine langfristige Zukunft mehr haben. Es mischt sich diese neue Erkenntnis mit Trauer, mit Wut, mit Fassungslosigkeit. Doch unter solchem psychischen Stress sollte man nicht alt werden müssen. Es ändert sich hier einfach nichts zum Positiven für uns. Die Aufenthaltserlaubnis bleibt weiterhin bei gerade noch sechs Monaten für Mieter. Neue Wohnprojekte, die uns angeboten wurden liegen mittlerweile schon mal bei TL 40.000,–/€ 1.050,–. Das ist nicht leistbar. Immer öfter hören wir nun im Freundes- und Bekanntenkreis, daß sich der Eine oder Andere mit dem Verlassen der Türkei befasst oder gleich geht. So fangen auch wir an, uns mit dem anscheinend Unabänderlichen ganz langsam auseinanderzusetzen. Noch sträubt sich alles in uns, doch bei realistischer Sicht auf unsere kleine Rente, der rasend schnell steigenden Inflation in jedem Bereich und dem Gefühl, hier politisch nicht mehr willkommen zu sein, müssen wir uns wohl damit beschäftigen.
Alle Jahre wieder geht – wie auf einen Schalter gedrückt – der brütend heiße Sommer in den kühleren Herbst über. Heuer bei uns genau zum 01. September. Nachts zwischen 23 bis 19 Grad runter. Tagsüber 27 bis 30 Grad. Endlich wieder Luft, endlich wieder Lebensenergie. Am 10. September dann – nach über vier Monaten – der erste Regen. Dicke Tropfen, die wie eine Offenbarung Mensch und Natur zum Leben erwecken. Das war`s dann allerdings schon wieder.
Bei unserem letzten Besuch zum Schwimmen in Delikyol war der Himmel grau, das Meer leicht abgekühlt (nur noch 30 Grad) und ich hatte das erste Mal Gänsehaut.
der Wetterwechsel erstaunt uns jedes Jahr erneut
alles grau und zum Frühstück legt man schon mal den wärmenden Schal um die Schulter
Mir fiel die Decke auf den Kopf, ich musste raus. Also haben wir beschlossen, nach langer Zeit wieder mal einen Abendspaziergang bei uns in Orhaniye am Meer zu machen. Doch Entspannung stelle ich mir anders vor. Die wenigen offenen Restaurants so gut wie leer. Preise auf den Speisekarten, die in keinem Verhältnis mehr stehen. Das vereinzelt anwesende Personal lustlos herumsitzend. Ich hatte den Eindruck, dass sie darauf hoffen, nur ja keinen der selten auftauchenden Gäste noch bedienen zu müssen. Es war eine eigenartig depressive Stimmung und wir beschlossen, schnell wieder nach Hause zu gehen und dort eine gemütliche Brotzeit zu machen.
vielleicht hat auch die veränderte Wetterlage zu dieser Stimmung beigetragen
Doch neugierig, wie wir sind, starteten wir einige Tage später zu einem erneuten Abendspaziergang. Jetzt bei unserer Bine in Selimiye. Dort eine heimelige Atmosphäre, die noch geöffneten Restaurants lebendig samt gut gelaunter Urlauber. Das hebt die Stimmung doch gewaltig. In einer netten Pizzeria (mit akzeptablen Preisen) direkt am Wasser haben wir es uns dann gut gehen lassen. So stelle ich mir das Leben hier vor.
Planung ist alles – heuer allerdings nur 1 t Holz, da der neue Ofen sehr sparsam ist. Auch hier schockiert die Inflation. Vor einem Jahr haben wir TL 4.200,- bezahlt, nun TL 6.500,–. Täglich fragen wir uns, wie es die Einheimischen schaffen, diese Preise noch zu bewältigen?
Wer immer noch der Meinung ist der Klimawandel sei nur eine Verschwörungstheorie kann uns gerne besuchen. Unser Mandarinenbaum hat sich viele Jahre gebogen, da er massenhaft saftige große Früchte getragen hat.
so sieht das nun nach einem extrem langen heißen Sommer aus 🙁
die wenigen noch verbliebenen Mandarinen haben nun ein neues trauriges Gesicht
Ich versuche ganz langsam, all das neu auf mich Einstürmende zu verarbeiten. Veränderung gehört nun mal zum Leben. Doch wohin die weitere Reise uns führt, ist „noch“ offen? Allerdings wird sich etwas verändern müssen.
Diese Schönheit (Passionsblume/Passiflora) am Wegesrand lässt die Sorgen gleich wieder kleiner werden. Gut daß die Natur mit solcher Vielfalt als Seelentröster ausgestattet ist, die meine Stimmung gleich wieder hebt.