Juli – Schneckentempo

Jeder Tag wird anstrengender. Jedes Jahr macht uns das Alter in der Hitze mehr zu schaffen. Dazu die vielen Gedanken – wie wird es wohl hier weitergehen? Mit uns? Mit unserer Wohnsituation? Mit der politischen Lage?

Einen Vorteil hat die Hitze – das Gehirn wird träge. Die Sorgen werden auf einmal ganz klein. Nun heißt es, diese Hitze bestmöglichst auszuhalten, denn die fordert alles. Nicht nur von uns, mittlerweile auch von den hier lebenden Türken, die doch schon mit der Hitze auf die Welt gekommen sind. Temperaturen die Nachts fast nicht mehr unter 30 Grad gehen, tagsüber ab 38 Grad aufwärts. Unsere Küche schafft es sogar auf 35 Grad – im Raum wohlgemerkt. Der Gedanke an Regen lässt uns lechzen. In Europa viel zu viel, hier seit drei Monaten kein Tropfen.

Aber – das Leben heißt ja Veränderung. Die Sonne steigt nun früh schon eine halbe Stunde später über den Berg. Das wollen wir ausnutzen, da es mit der Bewegung im Moment echt schwierig ist und sich die Pfunde ganz langsam um die Hüfte schmiegen.


er hat zum Gott erbarmen geschrieen – Hunger! Aber die Bäuerin war gerade mit dem Futter auf dem Weg zu ihm, wie wir noch sehen konnten.

Dass kreuz und quer gebaut wird, überrascht uns schon lange nicht mehr. Und doch gibt es immer wieder diese fassungslosen Situationen beim Dorfspaziergang. Zwei dicht an dicht gebaute neue Häuser (Reichtum schützt vor Dummheit nicht!) und jedes Haus braucht anscheinend einen „eigenen Swimmingpool“ – auf einem gemeinsamen Grundstück wohlgemerkt. Ich stelle wieder mal fest, daß der Mensch einfach zu dämlich ist, sich mit mehr als sich selbst auseinanderzusetzen. Klimawandel? Wasserknappheit? Was sind wir nur für nutzlose und zerstörerische Kreaturen auf dieser wunderbaren Mutter Erde! Sorry – Ihr merkt, ich habe gerade viel zu viel Zeit zum Philosophieren und da kommt geballtes Unverständnis aus den Tiefen meiner Seele hoch.


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Versöhnt werde ich allerdings ganz schnell von den vielen Wundern der Natur, die sich am Wegrand befinden. Eine Quelle, fließendes Wasser – ich betrachte das auf unserem Weg als etwas ganz besonderes. Wie lange werden wir wohl noch Wasser haben? Es unnütz vergeuden können?


Quell des Lebens

Ich bin Waage – mein Glück, denn ich kann von den negativen Gedanken auch ganz schnell wieder auf die Positiven umschalten. Ich mache einfach nur die Augen auf und lasse mich verzaubern, von dem was die Natur in unserer Nähe an Wundern zu bieten hat.

Zur Zeit haben wir eine wahre Invasion an Singzikaden. Diese beim Schlüpfen zu beobachten ist immer wieder faszinierend. Ganz langsam schält sie sich durch die zu klein gewordene Larvenhaut. Dann spannt sie langsam die Flügel auf und begibt sich auf eine neue Reise.


Zeit zu haben für solch ein Erlebnis ist der wahre Reichtum
(aus der braunen Hülle ist sie gerade geschlüpft)


einfach nur faszinierend – und das darf ich fast täglich im Moment erleben

Ich weiß nicht, wieviel Versuche Othmar in den letzten Jahren ausprobiert hat, um Kapern im Garten anzusiedeln. Es wollte einfach nicht klappen. Und wenn einer Geduld dafür hat, dann er. Umso spannender, als wir vor einigen Wochen ein kleines Kapernpflänzchen neben dem Haus entdeckt haben.


in erstaunlicher Geschwindigkeit ist es gewachen, denn es hat das Glück permanent Wasser aus dem Schlauch von der Klimaanlage zu bekommen


als Dank dafür ein Blütenmeer für uns

„Liebe ist“ – einen Mann zu haben, der einfach in den Garten geht und die trockene Wäsche von der Leine holt


Danke dafür – Du bist die Liebe meines Lebens

Unser Highlight bei dieser Hitze ist der wöchentliche Treff mit Freunden in Delikyol. Das Meer spiegelglatt, wenig Touristen am Morgen.


für mich das Tor zur Welt


hier haben Sorgen keinen Platz


es sind diese Momente, die alles andere vergessen lassen

Bilge`s Zwillingsschwester Suzan aus Amerika brauchte eine Auszeit. Wo geht das besser als bei uns?


und Othmar ließ es sich nicht nehmen, Räucherfisch (bei dieser Hitze) extra für sie zu machen


einer ging noch zu Irmgard (mittlerweile 91), Mama der Zwillinge, die sich riesig gefreut hat


nach diesem Tag hatten wir ausgefranste Lippen – soviel gab es zu erzählen


üppige wilde Natur im eigenen Garten

Mittlerweile haben wir unser Schneckentempo gefunden, bewegen uns so wenig wie möglich, sind dankbar für die funktionierende Elektrik der Klimaanlagen. Die Hälfte der lähmenden Hitzeperiode ist wohl geschafft, die andere Hälfte meistern wir jetzt auch noch. Und dann versuchen wir, wieder aktiv einiges zu verändern. Mit Blick auf die Welt stelle ich immer wieder fest, wir können noch entscheiden was wir machen wollen. Viele nicht! Und so überwiegt die Dankbarkeit für das, was wir haben.

 

 

 

 

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