Dezember – Was ist Langeweile?

Ich sitze hier und grüble. Wie mag sich wohl Langeweile anfühlen? Einfach mal überhaupt nichts machen? Sich dem Tag ganz gemütlich ergeben? Doch so läuft das hier einfach nicht. Immer wenn ich denke, jetzt ist es soweit, dann kommt ganz schnell die nächste Herausforderung. Seit nun bald sechzehn Jahren hier in der Türkei hat sich an diesem Spruch nichts geändert: „Her gün büyük bir macera“ – jeder Tag ist ein großes Abenteuer!

Los ging es gleich Anfang Dezember mit eisigen Temperaturen. Gerade mal 7 Grad draußen, im Haus die jährliche faltenfreie Zone mit 13 Grad. Seit neuestem haben wir große Probleme mit Stromausfällen über längere Zeiträume. In dieser Zeit gibt es meist auch kein Dorfwasser, da die Pumpe dafür ohne Elektrik nicht läuft. Doch nicht genug damit, es regnet auch noch. Und nicht ein bisserl – nein – sondern richtiger Starkregen, der nach zwei trockenen Wintern bitter nötig ist. Es schüttet, was vom Himmel kommt.

Da gibt`s nur eins – Ablenkung.

Wir hatten Chicken Wings in der Friteuse geplant, das ging bei diesem heftigen Regen nur unter`m Vordach. Also kochen unter Extrembedingungen


dafür war das Essen dann eine wahre Gaumenfreude

Das Leben hier hat ja immer wieder was zu bieten. Das Palmiye Restaurant, das super renoviert wurde und nun urgemütlich ist, lud zu Livemusik ein. Von uns gerade mal 2,5 km runter am Meer gelegen, da sind wir doch dabei. Und es war unglaublich. Ich wusste gar nicht mehr, wie schön Ausgehen am Abend sein kann. All die kleinen Sorgen waren wie weggewischt, wir haben getanzt und eine riesige Gaudi gehabt.


Livemusik gibt es jetzt jede Woche einmal – natürlich sind wir dabei

Derweil nehmen uns die eisigen Temperaturen – viel zu früh heuer – in den Klammergriff. Tägliche Routine bahnt sich an. Erst mal mein Umzug ins warme Wohnzimmer.


da sieht die Welt gleich besser aus


die Monster sind darüber absolut glücklich

Früh um 7 Uhr als erstes die Klima an, die Asche vom Vortag aus dem Ofen raus in den Garten und mal checken, was das Wetter so macht. Anschließend Katzenfütterung und den ersten Kaffee genießen bis der Ofen richtig brennt. Mit viel Glück gibt es Dorfwasser und das Geschirr kann mal gespült werden. Kochen ist unter diesen Umständen wirklich eine Herausforderung, doch das Glücksgefühl wenn alles geklappt hat, ist unbeschreiblich. Duschen und Haare trocknen wird im Moment zum Glücksspiel. Und doch denke ich oft, die perfekte deutsche Welt könnte ich einfach nicht mehr aushalten. Denn hier ist keine Zeit zum Alt werden und Grübeln, hier muss das tägliche Leben bewältigt werden. Und ja – hier gehöre ich hin.

Die anhaltenden heftigen Regenfälle haben unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt. In Icmeler und Umgebung gingen, nachdem die verkohlten Baumstämme abgeholzt und die Wurzelstöcke rausgerissen wurden, heftige Schlammlawinen runter.


nächtlicher Großeinsatz der Gemeinde

 


so sehen die Strassen dann aus


noch schlimmer, wie es die Häuser erwischt hat


der Brand war schon schlimm genug, doch die brutale Abholzung hat nun zu diesem Drama mit beigetragen


die Wassermassen haben sich ungebremst einen Weg nach unten gebahnt

Am 24.12. kam dann wirklich schon der erste Nachtfrost


immer wieder ein Wunder der Natur


klirrend kalt, doch es soll wieder wärmer werden – das ist halt die Türkei


die Narzissen blühen gerade zum Trotz


Klein Finnie“ ist jetzt schon acht Wochen bei uns und entwickelt sich zu einem lustigen selbstbewussten Katzenmädchen

Heute ist Silvester und wir gehen das erste Mal wirklich auf eine Party. Natürlich in`s Palmiye Restaurant mit Freunden zu einem 7-Gänge-Menü. Eigentlich sind wir Silvester-Muffel, doch da unsere Sonnwendfeier am 21. Dezember zwecks Corona zur Zeit nicht mehr stattfinden kann, probieren wir es mal mit dieser Alternative.


was uns da wohl heute erwartet?

Katastrophen hatten wir genug dieses Jahr, doch solange wir es schaffen das Hier und Jetzt mit dem großen Löffel positiv in uns reinzuschaufeln, kann eigentlich nichts schief gehen. Und vielleicht finde ich ja mal etwas Langeweile im neuen Jahr?


Marmaris lässt grüssen…

PS: 01.01.2022, 8 Uhr früh
Jetzt weiss ich wieder, warum wir Silvester-Muffel sind! Unsere englischen Freunde hatten uns vorab noch auf einen Umtrunk eingeladen, bevor wir dann gemeinsam zur „Party“ aufgebrochen sind. Im Palmiye-Restaurant war es brechend voll wie in einer Bahnhofshalle. Wo haben sie nur all die vielen Tische und Stühle auf einmal her? Unser reservierter Tisch – der direkt am Kamin sein sollte – war allerdings am Eingang oder besser gesagt Durchgang von innen nach draußen. Dort kroch die Kälte langsam in uns rein. Das Essen war eine kulinarische Katastrophe, die Band samt Sängerin ein Desaster, die Hektik unbeschreiblich. Da Othmar und ich uns auch ohne Worte verstehen, sind wir einfach um 22 Uhr aufgestanden, haben uns von unseren Freunden verabschiedet, ein gutes neues Jahr gewünscht und sind nach Hause gegangen. Wir müssen uns sowas nicht mehr antun. Was für ein Genuss dann, den Jahreswechsel mit einer Wärmflasche im Rücken, einem Glas Wein in der Hand und Urban Priol mit TILT 2021 im TV zu erleben. Geht also doch wunderbar ohne Party…

 

 

 

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