August – unsere Heimat brennt

Tag 4 – 01. August – Wir sind noch in Hisarönü, es brennt überall im Süden der Türkei. Eine Gluthitze hält uns gefangen. Die Welt nun ganz klein, permanent der Blick nach den Löschhubschraubern, der Windrichtung, den schwarzen giftigen Wolken. Zusätzlich schüttelt uns noch kurz ein Erdbeben durch. Mutter Erde hat anscheinend einfach genug unter dem Menschen gelitten!

Tag 5 – 02. August – Othmar fährt früh alleine nach Orhaniye. Meine Angst ist zu groß, ich will noch eine Nacht hier am Meer bleiben. Ich brauche das Gefühl der Weite und des Wassers vor der Haustür. Die Katzen sind friedlich im Gästezimmer mit Klimaanlage, als ob sie spüren, dass unsere Welt in Flammen steht. Am Nachmittag wollen Elena und ich kurz los mit dem Auto und ein paar Sachen einkaufen. Auf die Hölle, die uns dann erwartete, waren wir nicht vorbereitet. An der Hauptstrasse durften wir wohl noch raus, aber es war Chaos. Ein Zurück nicht mehr möglich. Nur noch Menschen in Angst und Hysterie um uns. Mit eisernem Willen und Verzweiflung schafften wir es zumindest wieder runter von der Hauptstrasse und bogen ab in unsere Richtung. Das Auto musste wohl stehen bleiben, Engin hat uns mit dem Roller abgeholt und zum Haus gebracht. Innerhalb kürzester Zeit hat sich Hisarönü in ein Flammeninferno verwandelt. Hitze, Angst, Atemnot – unglaublich was man durchstehen kann. Nur noch beobachten, ob das Feuer über die Strasse springt und den Weg zu uns ans Meer nimmt. Was tun bei Worst case? Das kleine Boot in Arche Noah umtaufen und dort Zuflucht nehmen?

Wir hätten nie gedacht, dass es soweit kommt. Am späten Nachmittag kam die Feuerwalze immer näher, für mich war klar – Evakuieren! Alles was wichtig ist auf`s Boot, am Schluss die Katzen in neun Boxen verteilt.


alles bereit für die Flucht


„Arche Noah“

Hier habe ich die Nacht mit den Katzen verbracht. Unglaublich diese Liebe und das Vertrauen von ihnen zu spüren. Immer wieder habe ich die Finger durch die Gitter gesteckt und ihnen wie Kindern zugeredet. Als Dank ein langes Schnurren und eine unglaubliche Ruhe, die sie ausstrahlen. In nächster Nähe gespenstische Szenen. Das Schiff der Coast Guard dazwischen. Rufe, Megaphon Durchsagen und Evakuierung der Dorfbewohner auf verschiedene Schiffe. Irgendwann gegen Mitternacht kehrte endlich Ruhe ein. Ich fühlte mich ausgelaugt, erschöpft, am Ende. An Schlaf nicht zu denken, doch durch meinen permanenten Singsang für die Katzen schaffte ich es wirklich, zwischendurch einzunicken.

Tag 6 – 03. August – Früh um 5.30 Uhr begannen wir, die Katzen wieder vom Boot zu holen. Denn um 6 Uhr kommen die Löschhubschrauber und das wollten wir den Vierbeinern am Boot nicht zumuten. Das Feuer wurde soweit eingedämmt und hat die Hauptstraße bei uns nicht übersprungen. Wir konnten jetzt erschöpft Luft holen. Endlich konnte ich weinen, das Leid und die Angst herausschreien. Die dauernde Anspannung in einer totalen Erschöpfung enden lassen. Ich will nur noch nach Hause, ich möchte mein normales Leben wieder haben. Die Strassen bleiben aber vorerst gesperrt, da auf der Strecke Hisarönü/Orhaniye immer wieder Feuer ausbricht.
Für Eure tagelange Gastfreundschaft möchte ich mich hier ganz herzlich bedanken. Auch im Namen der Katzen, die bei Katzenmama Elena wie im 5-Sterne-Hotel versorgt wurden. Schön, solche Freunde in der Not zu haben.

Tag 7 – 04. August – Endlich, die Strassen sind offen, Othmar kommt und holt uns nach Hause. Was für ein Gefühl, alles steht noch. Orhaniye wirkt fast unverändert. Die Katzen glücklich raus aus den Boxen und ihr zuhause neu erkunden. Doch schon kommen neue Hiobsbotschaften. Das nächste Dorf Turgut brennt und die Rauchschwaden ziehen in unsere Richtung. Nicht schon wieder, mir fehlt die Kraft.


bei uns im Tal – zu nah, zu stark

Die Notfalltaschen samt Katzenboxen stehen schon wieder bereit, Othmar beruhigt mich. Noch trennen uns 2,5 km vom Brandherd. Und ich lerne ganz langsam Vertrauen zu gewinnen. Verbringe die Zeit bis nach Mitternacht im Garten am Stuhl und lasse das Feuer nicht aus den Augen. Gegen 1 Uhr früh kann ich nicht mehr und ergebe mich meinem Schicksal. Ich will nur noch schlafen und schleppe mich in die Hängematte.

Tag 8 – 05. August – Früh am Morgen die ersten Löschhubschrauber und Feuerwehrautos in vollem Einsatz. Sie schaffen es wirklich mit ihrem unermüdlichen Einsatz, das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Langsam gehen auch die Temperaturen runter auf nur noch 39 Grad. Und wieder tief durchatmen und hoffen.

Tag 9 – 06. August – Kein Feuer bei uns im Tal, doch es brennt immer noch bei den umliegenden Dörfern. Hubschrauber sind permanent im Einsatz, an Entspannung noch nicht zu denken.

Tag 10 – 07. August – Wir wagen uns runter zum Bazar. Alles so traurig, nur Notbesetzung. Ich fühle die Erschöpfung der Menschen, sehe den müden Blick in den Augen. An der Hauptstrasse entlang viele Feuerwehrautos, alle stehen immer noch unter Strom.

Und gerade, als wir anfangen an ein Ende zu glauben, sehen wir die ersten Rauchwolken gleich bei uns direkt am Berg hochsteigen. Gerade noch zum erfrischen im Pool den Othmar über die Tage gerettet hat, hören wir aufgeregte Stimmen unserer Nachbarn. Direkt in erster Reihe können wir von unserem Flachdach den Einsatz in 150 m Entfernung live erleben. Keine zehn Minuten dauert es, bis die Löschwägen hier sind, die Feuerwehrleute mit den Wasserschläuchen wie die Ziegen den Berg hinauf klettern und anfangen zu löschen. Wir verneigen uns vor diesem Einsatz für unser Leben, sie leisten hier Übermenschliches. Dann kommt auch noch heftiger Wind auf und facht das Feuer immer wieder neu an. Der Löschhubschrauber muss einige Runden drehen, um endlich sein Wasser gezielt abwerfen zu können. Wie eine kleine Nussschale inmitten der Böen versucht er alles dafür zu tun. Was für Künstler, was für Retter.

Schon zwei Stunden später ist alles wieder unter Kontrolle. Vertrauend auf die Nachtwache versuche ich einige Stunden zu schlafen. Leider arbeiten meine Gedanken dagegen, doch es muss ja auch verarbeitet werden.

Tag 11 – 08. August -Es ist genug! Ich packe wieder aus, fange an mit Wäsche waschen und wehre mich gegen einen erneuten Feuerausbruch. Am Nachmittag kommen wieder Feuerwehrautos hoch und spritzen nochmal alles ab. Danke dafür

Tag 12 – 09. August – Langsam fange ich an zu verarbeiten. Heute bin ich das erste Mal bereit, darüber zu berichten. Ich will es hinter mir lassen, mich freuen dass wir noch am Leben sind und ein zuhause haben. Die Hubschraubergeräusche empfinde ich nun als eine beruhigende Sinfonie. Aber ich sehne mich nach Ruhe und glaube fest daran, dass ich ganz langsam den Weg dahin finde.


Seelenqual und die Quellen für neue Brände


dazwischen Hoffnung


es tut so weh


Bienen – lebenswichtig für uns und die Natur


nur Schockzustand- wir haben es erlebt


aufgeopfert bis zur Erschöpfung


die Kraft und der eiserne Wille der Jugend


Danke für die Qualen, die Ihr auf Euch genommen habt


auch sie haben ihre Heimat verloren


„Ich will“ – nur das zählt noch


soviele Helfer für die geschundenen Tiere

Nun hoffe ich für uns alle hier, dass die Brände immer mehr gelöscht werden. Daß die Menschen wieder Hoffnung bekommen und nach vorne schauen können. Es muss uns eine Lehre sein, denn ich bin überzeugt, das ist erst der Anfang an Katastrophen, die uns in Zukunft noch heimsuchen werden.

Gespannt sehe ich nun dem weiteren Verlauf dieses Monats entgegen – inshallah!

28.08. – Vier Wochen ist es her, seit alles begann. Oder besser gesagt – endete. Der Brand hat uns verändert. Immer wieder halten wir die Luft an, sind sensibilisiert beim leisesten Hauch des Windes. Häufig entfacht sich noch ein Schwelbrand oder die Rauchfahnen steigen hoch. Die Ängste zehren. Und doch muss es weiter gehen. Unsere erste Fahrt nach Marmaris war zum Heulen. Erst jetzt wird uns richtig bewusst, wie die Feuer hier getobt haben. Dazwischen wieder grün, als ob nichts gewesen wäre.

Der nächste Ausflug geht nach Delikyol zum Frühstücken und Baden mit Freunden. Auch auf dieser Fahrt viel verbrannte Natur.


Gemeinsam weinen, gemeinsam lachen, nur so ist es erträglich


und doch kommt meine Lebensfreude ganz schnell wieder

Vor drei Tagen haben wir es gewagt durch Osmaniye zu fahren. Es sind stumme Fahrten, die wir machen. Dort sind wirklich 100 % abgebrannt. Man bekommt keine Luft zwischendurch, so weh tut es. Häuser sind verbrannt, von den Tieren und der Natur ganz zu schweigen.


die Menschen bekommen nun Container für ihre verbrannten Häuser gestellt


was ihr wohl durch den Kopf geht beim Blick in diese verbrannte Natur?


hier in Osmaniye hat es sicher 50 qkm erwischt – alles ist schwarz und tot


und doch wagt sich Neues hervor – Danke Mutter Erde für diese Hoffnung


und Othmar`s Frangipani belohnt ihn für seine Pflege trotz Feuer und Asche

Dieses Trauma zu verarbeiten wird dauern. Es ist alles noch zu frisch und beim Blick in die schwarzen Landschaften leiden wir mit der Natur. Wir hoffen auf einen baldigen Herbstbeginn mit viel Regen, damit in der gebeutelten Natur wieder neues Leben erwachen kann und unsere seelischen Wunden langsam anfangen zu heilen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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