Mai – Kapitulation

Es ist hochinteressant, sich selbst in extremen Situationen wie der Corona-Pandemie zu beobachten. Ich dachte meine Welt bricht zusammen, wenn ich siebzehn Tage eingesperrt werde. Doch es kommt immer anders. Ich ließ mich reinfallen in diese neue Situation und begann zu schauen, was es mit mir macht. Wir fingen an, täglich zusammen eine Runde im Tal zu laufen. Immer in Erwartung einer Kontrolle. Doch ich hätte jedem mit neuem Selbstbewusstsein erklärt, dass ich alt bin, kaputte Knochen habe und für meine Gesundheit raus muss. Siehe da – keiner kam, keiner hielt uns auf. Geht doch! Von Freunden aus dem Dorf erfuhren wir, dass wir auch mal mit dem Auto runter in den nächsten Supermarkt dürfen. Haben wir natürlich nach der ersten Woche ausprobiert. Was für ein Gefühl, jeden Schrott habe ich mit Begeisterung angesehen. Allerdings durften nur Lebensmittel eingekauft werden. Alle anderen Regale waren mit rot-weißen Bändern gesperrt. Einfach nur lächerlich, wenn es nicht so traurig wäre.

Da die Temperaturen langsam hoch gehen, habe ich unsere Gartendusche für diesen Sommer vorbereitet. Meine ersten Wasserorgien waren noch ziemlich kalt, doch mir vermittelte es eine neue Freiheit.


heuer mit Sichtschutz von oben wegen der neuen Nachbarn

Langeweile kam nicht auf. Am 04. Mai hatten wir abends wieder mal Stromausfall. Dieser zog sich allerdings zwölf lange Stunden hin. Ich sah mich schon stundenlang in der Küche stehen, um die aufgetauten Lebensmittel zu verkochen. Kühl- und Gefrierschrank waren übervoll wegen dem Lockdown. Meine Unruhe wuchs, also rauf auf`s Dach und die Lage peilen. Draußen war es stockfinster, doch ich konnte sehen, daß weiter unten im Tal die Elektrik funktionierte. Später erfuhren wir, dass der Strom-Transformator in unserer Nähe explodiert war. Das erklärte einiges. Und sie schafften es in dieser Nacht wirklich, diese Katastrophe wieder zu beheben.

Bei unseren nun täglichen Spaziergängen bekamen wir eine ganz neue Sichtweise auf unser Umfeld.


täglich grüsst – in unserem Fall – die Kuh


sowie die immer neugierigen Ziegen


alles leuchtet auf unserem Weg orange – Granatapfelblüten wohin man sieht


wenn einer Ruhe ausstrahlt, dann er

Wir genossen die ruhigen Tage und waren dankbar für unser Häuschen samt Garten. Unser Mikrokosmos hüllte uns wieder ein und ließ uns zur Ruhe kommen. Auch die Temperaturen sind einfach nur super – nachts so 18 Grad, tagsüber Sonnenschein bei an die 30 Grad.

Doch leider hielt diese Gelassenheit nicht an. Am 16. Mai wurde in der Kabinettsitzung der neue 3-Stufen-Plan zur Lockerung verkündet. Bis Ende Mai Ausgang bis 21 Uhr, Lockdown nur Samstag/Sonntag. Doch der Schock kam bei der Mitteilung für die ü65-jährigen. Diese dürfen ab sofort auch raus, aber nur wenn sie die von der Regierung angebotene zweimalige Impfung nachweisen können. Wenn nicht, dann bleibt die alte Regelung bestehen: „raus nur von 10-14 Uhr“! So also sieht indirekter Impfzwang aus. Ich drehte erst mal durch und brauchte einen Tag um mich zu beruhigen. Als nächstes haben wir uns von unserer Apotheker-Freundin aufklären lassen, was nun Sinn für uns macht. Schnell war klar, dass wir ohne Impfung jetzt im Sommer nicht raus können. Othmar entschied sich für BioNTech/Pfizer. Wenn schon, dann den größtmöglichen Schutz. Ich haderte, zauderte, wütete. Meine Einstellung hat sich nicht geändert. Ich habe Angst vor diesem neuen Impfstoff, nicht vor Corona. Doch was hilft es. So entschied ich mich schwerzen Herzens für den Impfstoff CoronaVac des chinesischen Herstellers Sinovac, da dies ein Totimpfstoff ist. Mir genügen 50 % Sicherheit vollkommen, wenn es nicht zuviel in meinem Körper anrichtet. Allerdings meinte Othmar, dass ich mir doch noch Zeit lassen kann. Ich bin ja erst 64! Seit Monaten schon lebe ich solidarisch mit den ü65-jährigen und hab mich gar nicht mehr mit meinem wahren Alter befasst. Juhu – also erst mal Schonzeit bis September und dann schau ma mal!


Othmar bekam seinen Impftermin innerhalb von 24 Stunden hier.
Da ist die Türkei wirklich super organisiert.

Jetzt warten wir halt noch geduldig auf Othmar`s zweite Impfung und dann wird das Wort Freiheit eine ganz neue Bedeutung für uns bekommen.

Als der Lockdown am 17. Mai beendet war, sind wir erst mal zu unserer Elena ans Meer auf einen langen Kaffeeratsch. Am nächsten Tag dann spontan nach Bozburun auf ein Treffen mit Freunden. Es fühlte sich so gut an, zusammen durch den kleinen Ort zu spazieren, einen richtig guten Döner zu essen und endlich wieder raus zu können – wenn auch nur vier Stunden.

Und gleich einen Tag später nach Selimiye, wo uns ein Freund sein neues Wohndomizil auf 3 x 8 Meter im Container-Modul präsentierte.


immer wieder spannend sich mit diesen Wohnarten auseinanderzusetzen

Zum Abschluss dieses Monats haben wir die Grillsaison mit Freunden eröffnet. Was für ein Gefühl zusammenzusitzen, zu lachen, zu essen. Einfach das Leben miteinander zu geniessen.


so sieht Glück aus


gemütliche Runde bis 20 Uhr – dann schnell nach Hause


Kapernblüte – was für ein Geschenk der Natur

Und ich habe wieder mal ein neues Projekt auf unserer täglichen Runde.


die kleine zutrauliche Katzenmama wird nun täglich kulinarisch versorgt –


…damit sie auch genug Milch für diesen süßen Nachwuchs hat

Nun sind wir gespannt auf die nächsten Regelungen, die das Kabinett wohl heute beschliessen wird. Doch mit dem Blick in unsere wunderbare Natur in nächster Umgebung, der Sonne und den vielen Freunden kann es einfach nicht so schlimm kommen.

 

 

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