Juli – Widerwillen

Mein Körper sträubt sich, mein Geist ebenso. Ich habe diese neue Welt noch nicht verinnerlicht. Abstand halten, Maskenpflicht. Ich fühle mich betrogen, in eine Zwangsjacke der nicht mehr lebbaren Gefühle und Nähe zu anderen gesteckt. Es fällt mir unheimlich schwer auf Distanz zu gehen. Das bin ich einfach nicht. Im Freundeskreis wird es nun lockerer, die Nähe wird wieder gesucht. Was bin ich froh, nicht alleine mit diesem Gefühlschaos zu sein.

Wir waren die Tage bei unserem Tierarzt. Er mit Maske, wir natürlich auch. Die Kommunikation ist für mich mit meiner Schwerhörigkeit einfach nur chaotisch. Mir fehlt die Mimik und die direkte Sprache, an der ich mich orientieren kann. Sonst habe ich solche Sachen alleine durchgezogen, hier war ich froh, daß Othmar für mich übersetzt hat. Danke Corona!

Doch nun zum Alltag. Die Temperaturen haben sich eingependelt, nachts geht nichts mehr unter 27°, tagsüber locker bis 35°. Für mich ein Grund, wieder mal mit meiner Freundin von Selimiye aus eine Bootstour mit fünf Badestationen zu unternehmen.

Selimiye ist voll, alles was in der Türkei Geld hat trifft sich hier. Jeder Betrag wird bezahlt für noch so eine kleine Bude. Die Angst vor Hotels und Menschenmassen bringt das kleine „Dorf“ an seine Grenzen. Parkplätze eine Rarität. Eine Lücke haben wir gefunden und mein Herz machte einen Sprung. Da lag doch unsere alte „Kalapuna“ strahlend in neuem Glanz. Ahmet, der neue Eigner hat sich den Winter über voll reingehängt und alles saniert.


Ahmet ist so glücklich mit ihr

Auf dem Ausflugsboot durfte nur die halbe Kapazität an Menschen rauf – gerade mal 19 Personen, die sich gut verteilten.


Erster Stop in der Bucht von Sığ Liman – unser ehemaliges Zuhause


Alles ist voll – allerdings nur mit türkischen Touristen aus den Großstädten

Endlich – ein Ausflug zu unseren Freunden nach Söğüt. Chinesische Nudeln im Lotus Restaurant sind jeden Kilometer wert. Auf dem Weg waren wir wieder mal bezüglich der türkischen Baukunst sehr erstaunt. Frei schwebend über der geplanten Garage.

Es war an der Zeit, unseren deutschen Führerschein in einen türkischen umzutauschen. Eigentlich keine große Sache. Aber….! Othmar hatte schon einen Kartenführerschein, Elena und ich noch den alten grauen Lappen. Das letzte Schulzeugnis musste übersetzt und vom Notar beglaubigt werden. Warum? Fragen wir besser nicht. Ein aktuelles Gesundheitsattest leuchtet da schon sehr viel mehr ein. Ihr wollt sicher nicht wissen, wie oft wir wo antreten mussten, um noch eine Kleinigkeit auszufüllen oder unterschreiben zu lassen. Doch das ist halt hier so. Othmar brauchte zusätzlich ein Attest vom Augenarzt, da er ja nur noch auf einem Auge was sieht. Das geht problemlos. Er darf nur nicht nachts, keinen Bus und keinen LKW fahren. Leuchtet auch ein. Schwieriger ist es für uns mit dem grauen Führerschein. Der Sachbearbeiter kann damit so gar nichts anfangen, schaltet nun auf stur und besteht erst mal auf einem Kartenführerschein. Ja geht`s noch! Wir haben einen gültigen Führerschein! Jetzt kämpfen wir uns bürokartisch durch und benötigen Geduld ohne Ende. Aber – wir lassen nicht locker, noch ist das Spiel nicht vorbei. Othmar dagegen hat es als „Einäugiger unter den Blinden“ echt geschafft, die Tage kommt sein neuer türkischer Führerschein mit Kargo.


Seine Führerschein-Gebühren konnte er allerdings im Amt nicht bar bezahlen. Er wurde zur Halk Bankasi geschickt. Die nahmen kein Bargeld am Schalter an. Er musste raus an den Bankomaten zum Einzahlen. Doch hier wird es türkisch kompliziert und für uns nicht machbar. Von unserer Hausbank bekamen wir dann den Tip zum Finanzamt zu fahren und dort einzuzahlen. Gesagt, getan. Zurück im Amt hieß es, normal geht das gar nicht. Aber….. na gut, machen wir eine Ausnahme. Allerdings fehlten noch TL 37,50. Nur nicht fragen warum? Die konnten jetzt nur in der Vakif Bankasi einbezahlt werden. Dort stand er bei über 40° in der Schlange (siehe oben) bis kurz vor dem Umfallen. Endlich durfte er rein in die Bank und wirklich am Schalter einzahlen. Ende gut, alles gut.


Den Führerschein-Irrsinn begossen wir am Abend in einem kleinen Familienrestaurant bei uns in Orhaniye. Ein absoluter Geheimtip und bei diesem Ausblick wird auf einmal alles wieder ganz leicht.


die Garnelen vom Grill mit Knoblauchsosse waren die Krönung

Sauerkirschen – ich konnte nicht anders. Der nächste Winter kommt bestimmt und ein paar Gläser für Kuchen sind dann hier eine Rarität.


die Arbeit geht nur im Meditations-Modus


dafür freu ich mich jetzt umso mehr

Nicht ganz so lustig war es mit den 3 kg Aprikosen, die Marmelade werden sollten. Alles war vorbereitet, doch mein Gelfix aus Deutschland war grau und vertrocknet. Also nur 1 kg Zucker, den Saft einer Zitrone und am besten schnell essen.

Die schönste Badeecke in nächster Nähe ist für uns Delikyol. Gerade mal gut 10 Minuten mit dem Auto entfernt. Immer wieder zieht es uns dahin. Gleich um 9 Uhr rein ins klare Nass und eine Stunde später ein leckeres türkisches und vor allem ausgiebiges Frühstück. Es fühlt sich einfach immer wie Urlaub an. Und dann wird uns bewusst, wir leben ja da, wo andere Urlaub machen. Es ist immer noch ein Geschenk und die Faszination bleibt.


Fassungslos waren wir dann allerdings bei diesem Anblick am Nachbartisch. Da sitzen die drei Mädels jede vor einem Smartphone mit Kinderprgramm. So werden die Kinder heutzutage ruhig gestellt. Was bin ich froh so alt zu sein.

31.07. – Juhu, wir bekamen heute noch rettenden Besuch aus Deutschland mit Gelierfix. Herzlichen Dank an Uschi und Micha, jetzt steht der nächsten Marmeladeproduktion nichts mehr im Weg.

 

 

 

 

 

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