April – Fassungslos

Nie hätte ich für möglich gehalten, was in so kurzer Zeit passieren kann. Dass die Welt und das Leben einfach still stehen. Grenzen dicht gemacht und der Egoismus der Länder Oberhand gewinnt. Ich befinde mich in einem Gefühlschaos und bin täglich erstaunt, was mich so bewegt und wie es mir damit geht.

Am 20. März hatten wir noch einen spontanen Ausflug nach Sögüt gemacht.  Der langersehnte und zwischendurch ausverkaufte Impfstoff gegen Lungenentzündung war eingetroffen. Die Apothekerin empfing uns mit Mundschutz und Handschuhen. Ein rot-weißes Band markierte, wie weit wir uns rein bewegen dürfen. Anschließend um die Ecke zum Gesundheitshaus, das jedes Dorf hat. Dort wurde uns die Impfung verabreicht. Drei Wochen später sollte  sich die Wirkung voll entfaltet haben. Das war schon mal ein gutes Gefühl zu Beginn dieser Krisenzeit.

Am 22. März begann die absolute Ausgangssperre für die über 65-jährigen. Die ersten zwei Wochen bestanden aus Schock, Erstaunen und Ungläubigkeit.

Am 01. April musste ich raus aus dieser Enge. Da ich noch jugendliche 63 bin, stand dem nichts im Weg. Ich brauchte das Gefühl noch am Leben zu sein. Mit einem eigenartigen Empfinden setzte ich mich ins Auto samt Gummihandschuhen, Mundschutz und Kolonya zum desinfizieren. Gespenstisch war die Fahrt nach Marmaris, fast keine Autos unterwegs. Bei der ersten Ampel traute ich meinen Augen nicht.


„Evde Kal“  bleib zuhause


„Eve Git“ – geh nach Hause


präpariert für meinen Ausflug

Der erste Weg führte zur Bank, doch die öffnete erst um 13 Uhr. Also ließ ich die fast tote Stadt auf mich wirken. Die kleinen Läden alle geschlossen. Bei der Post die wenigen Menschen mit dem noch ungewohnten Mundschutz. Absperrbänder überall zu sehen. Am Eingang wurde mir als erstes Fieber gemessen, mit meinen 36,5° durfte ich zum Postfach hoch. Der Weg führte mich weiter durch den Bazar, der ohne Menschen nur gespenstisch wirkte.


wie in einem schlechten Traum, bei dem man hofft, schnell wach zu werden


auch der Gemüsebazar in gedrückter Stimmung, alles nun in Plastik verpackt

Der Bankbesuch auch anders als gewohnt. Zutritt nur noch einzeln möglich. Ich war froh, als ich mich auf den Rückweg machen konnte. Noch kurz ein Stopp bei Carrefour und dann mit Vollgas nach Hause. Othmar war glücklich, mich wohlbehalten wieder in die Arme schließen zu können. Mir hat derweil nur gegraut von diesen Eindrücken und ich riss mir als erstes alle Klamotten vom Leib und gönnte mir eine ausgiebige Dusche. Mein Bedarf an Freiheit war erst mal gedeckt.

Ab der dritten Woche mit Beschränkungen kreisen die Gedanken immer mehr. Ich fange an kritischer zu werden. Wissen ist Macht und somit befasse ich mich mit wissenschaftlichen Berichten und bekomme langsam ein ganz anderes Bild der Situation. Die WHO war für mich eigentlich immer eine glaubwürdige Institution. Heute weiss ich, von welchen Firmen und Stiftungen sie letztlich bezahlt wird. Ich lerne täglich dazu und verlasse mich aus diesem Grund lieber mehr auf meine Intuition. Auch das allgemeine Schlagwort „Corona“ macht mich wütend, denn Coronaviren sind schon seit den 1960er Jahren bekannt. Covid-19 ist eine durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung und die ist neu. Mir fehlt die fachliche Aufklärung für die Masse, die es möglich machen würde, besser damit umzugehen. Statt dessen werden Ängste und Panik verbreitet und die Menschen weggesperrt. Mittlerweile fürchte ich mich nicht mehr vor „Corona“, sondern vor den Auswirkungen im täglichen Leben, die noch nicht einmal richtig begonnen haben.

Othmar geht nun in die sechste Woche mit absolutem Ausgangsverbot und er schlägt sich tapfer. Wieder einmal sind wir dankbar für unser kleines Häuschen mit großem Garten und der Ruhe und Normalität hier am Dorf.


die erste Schildkröte im Garten stimmt uns positiv

Wir haben uns durch soviele Schwierigkeiten in unserem Leben gekämpft und lassen uns von einem Virus sicher nicht unterkriegen.

Denn es gibt genügend Schönes dagegen zu setzen. Familie und Freunde die sehr viel näher rücken. Nachbarn mit guter Laune und Hilfe, wohin man schaut.


in Marmaris werden die Tiere von der Gemeinde mit Futter versorgt


den Menschen wird das tägliche Brot gebracht


und sogar wir bekommen die Lieferung frischer Pide an die Haustür

Nein, ich lasse mir meine Frohnatur und das positive Denken nicht nehmen und orientiere mich – wie schon viele Jahre – an den kleinen bzw. großen Freuden des täglichen Lebens. Wir haben unsere Liebe und Zweisamkeit, dieser Reichtum lässt sich mit nichts auf der Welt aufwiegen.

Ich wünsche mir, dass die Menschen kritisch auf das aktuelle Geschehen blicken und es hinterfragen. Das Licht am Ende des Tunnels ist noch entfernt, doch es muss einfach etwas Positives mit sich bringen. In diesem Sinne viel Gesundheit und noch mehr Geduld.

Dieser Beitrag wurde unter Alltag in Orhaniye 2020 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.