Mai – Loslassen

Eine Ära geht zu Ende. Zeit, Abschied zu nehmen. Vor zehn Jahren war Baubeginn von Othmar`s polynesischem Auslegerboot „Kalapuna“. Der Bau war eine Herausforderung. Damals wohnten wir noch in Selimiye. Dort wurde sie hinter dem Haus gebaut und auf dem Flachdach fertig gestellt. Ich empfinde meinen Mann immer als einen „Daniel Düsentrieb“. Ohne verrückte Ideen und die dazugehörigen Ausführungen kenne ich ihn gar nicht. So liebe ich ihn auch. Doch vor nunmehr zwei Jahren stellte sein Augeninfarkt und die anschließende Bypass-OP unser Leben auf den Kopf. Nichts war mehr so wie vorher, an Segeln war mit diesem sportlichen Boot nicht mehr zu denken. Und so mussten wir zusehen, wie es langsam anfing zu vergammeln. Nachdem jetzt auch noch der Steg am bisherigen Liegeplatz zusammengebrochen war, musste „Kalapuna“ dort weg. Nur – wohin? Bei einem alten Freund bestand an dessen Hotelsteg eine Parkmöglichkeit. Nachdem bei der kurzen Überfahrt dorthin auch noch der Motor ausgefallen war, traf Othmar die finale Entscheidung. Und so verschenkte er „Kalapuna“ kurz entschlossen. Mir fiel ein Stein vom Herzen und ich denke, Othmar geht es genau so. Es gibt für alles seine Zeit und diese war jetzt abgelaufen.


Es gibt ja bekanntlich zwei schöne Momente im Leben eines Seglers – wenn er sein Boot neu in Besitz nimmt und wenn er es endlich wieder abgeben kann.

Der Sommer hält Einzug. Die Temperaturen bewegen sich nun zwischen 17° bis 30°. Zeit um alles von Winter auf Sommer umzustellen. Erst mal musste das Dach dringend mit neuer wasserdichter Spezialfarbe gestrichen werden, um für kommenden Regen wieder gerüstet zu sein. Die Arbeiten machen wir gerne selbst, so wissen wir wenigstens, wie es gemacht ist. Das wäre uns in Deutschland nie eingefallen, doch jetzt wird türkisch gedacht.


ein zäher Anstrich, doch nach drei Tagen war es fertig


und weil es schon so heiß ist, haben wir gleich noch den Sonnenschutz aufgespannt

Weiter ging es an den Innendecken, die ja unter Feuchtigkeit und Schimmel gelitten hatten.


Othmar ist grandios – ich hasse streichen

Ich habe meinen Hausputz nun hinter mir. Zweimal im Jahr macht es echt gute Laune, da sieht man wenigstens was. Die Fenster blitzen wieder, sämtliche dicken Betten sowie Winterkleidung und Stiefel sind verräumt. Alles riecht nach Sommer.

Auch draußen wird nun viel gearbeitet, im nächsten Monat ist es einfach schon viel zu heiß für jegliche Aktivität. Unser Vermieter kam mit der ganzen Familie. Zusammen haben sie am oberen Grundstück alles ordentlich abgemäht -natürlich mit der Sense in der Hand.


nun trocknet das Futter für die Kühe

Im Garten mussten wir nun ebenfalls  schnell sein mit dem Umkraut jäten. Jeden Tag wird es heißer und es wird schnell unmöglich, noch etwas aus dem dann betonharten Boden zu zupfen.


aber dafür gedeihen schon die Gurken im kleinen Gemüsegarten


und auch die kleinen Tomaten werden sicher schnell rot


dazwischen trohnt genüsslich unser „Mogli“ auf dem Sommerstuhl unter der großen Beschattung


Kaktusblüten ohne Ende


unser Orchideenbaum war voll mit blühenden Zweigen


der Orangenbaum hat noch schnell am Stamm geblüht

Ich liebe unsere Landschaft und diese herrlichen Temperaturen im Moment. Auf dem Weg zum wöchentlichen Sport konnten wir dieses Beispiel von besonderem türkischen Nationalstolz sehen 🙂


ein echter Hingucker

Orhaniye hat sich dem Titel „Weltstadt“ angenähert. Seit zwei Wochen haben wir einen neuen Migros-Jet-Supermarkt. Super für viele Nachbarn hier. Für mich eher traurig, werden doch die kleinen Bakals (Tante-Emma-Läden) langsam verschwinden.


der Fortschritt lässt sich leider nicht aufhalten

Nachdem das Segeln nun in den Hintergrund gerückt ist, können wir uns auf neue Sachen konzentrieren. So planen wir wieder intensiver an unserem eigenen Häuschen, das wir sicher irgendwann noch hier haben werden. Im Moment ist der große Favorit ein Haus aus Strohballenelementen. Es ist so spannend, die Träume auf Papier zu zeichnen und zuzuschauen, wie es Gestalt annimmt. Produziert werden solche Elemente hier in der Türkei in der Nähe von Izmir. Die Aussicht auf eine gute Isolation von 35 cm Dicke und einen ordentlichen Lehmputz zu relativ wenig Geld ist grandios. 60-70 qm sind absolut ausreichend. Nachdem wir hier meist draußen und nicht drinnen leben, wird der Wintergarten sicher der schönste Platz für mich werden.

Doch genug geträumt. Am 18. Mai fliegen wir nach ewig langer Zeit erstmals wieder gemeinsam nach München. Dort werden wir unseren kleinen Enkel begrüßen und in die Arme schließen. Das ist nun kein Traum mehr, sondern in zwei Tagen wunderbare Realität. Um Haus und Katzen kümmert sich in dieser Zeit eine Freundin, die gerade aus Amerika gekommen ist und für einige Wochen hier Urlaub macht. So sind wir alle glücklich, besser konnte es doch nicht organisiert werden.

26.05. – Wir sind wieder zuhause im grünen Paradies. Die Langsamkeit hüllt uns ein, holt uns runter von der deutschen Drehzahl. Das ist auch gut so. München war wunderschön, jeder Tag ein Genuß. Endlich wieder die Kinder in die Arme schließen zu können. Unseren Enkel nicht mehr loszulassen, mit ihm zu lachen und erstaunt jede Entwicklung an ihm zu beobachten. Wir hatten jede Menge Spaß und konnten zusammen von Herzen lachen. Gute Freunde treffen, im Biergarten sitzen, grillen. Unser Äthiopisches Restaurant besuchen und dort nach über fünf Jahren erkannt und begeistert begrüßt zu werden. Es war volles Programm. Danke für die wunderbare Zeit, die ihr uns ermöglicht habt.


ein stolzer Opa bei strahlendem Münchner Wetter


mich zerreißt es fast vor lauter Glück


Jahrelang hat er davon geträumt……


…von der „Schlemmermeyer Leberkässemmel“ am Viktualienmarkt

Ansonsten ist das Leben dort einfach zu schnell, zu hektisch. Und die Angebote in Bau- und Supermärkten hat uns dann den Rest gegeben.


Reizüberflutung an der Wurst- und Käse-Meile


auch wenn man vor einem wahr gewordenen Traum steht


am schlimmsten waren die ewig langen Gänge

Nun genießen wir wieder die etwas weniger ausgefallene Vielfalt hier in der Türkei und freuen uns, wenn mal Besuch mit einem Camembert oder einer Salami kommt. Das sind dann die wahren Freuden des Lebens, nicht der überbordende Luxus.

 

 

 

 

 

 

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